Das wär mir eine rechte Rechtschreibreform!

Die meisten Gegner und Befürworter der letzten deutschen Rechtschreibreform wissen gar nicht, was man für eine rechte Reform wirklich alles hätte reformieren müssen! Gespräche mit Hermann Möcker aus Wien, wohl dem besten Kenner alter und neuer Schreibungen, haben mich auf dieses Thema gebracht. Ihm sei Dank!
   Vorausschicken muss ich, dass die hier angedeutete Reformen aussichtslos sind. Für eine durchgreifende Änderung der Schreibsitten braucht es erstens vorher viele ausführliche Schreibversuche mit den vorgeschlagenen Schreibweisen und zweitens wohlwollende Akzeptanz der Schreibenden. Beides wurde bei der letzten (1998) und vorletzten (1901) Reform zu wenig beachtet. Warum ich mir dennoch darüber Gedanken mache? Aus Spass, denn ich bin hierin spielerischer Laie, und damit die krittelnden Federfuchser wenigstens einmal sehen, was eine Harke ist, selbst wenn man damit nie wird schreiben können.

Man schreibe, wie man spricht. Das hat den Vorteil, dass der, ders dann liest, alles auch gleich richtig aussprechen kann. Ausländer sind dankbar für einfache, klare Schreibungen. Dagegen stehen Prinzipien wie Tradition (etwa bei »Thron« statt »Tron«, obwohl man doch schon seit 1901 »Tür« statt »Thüre« schreibt) oder Herkunft der Wörter (etwa »Philosophie« aus dem Griechischen, obwohl fast keiner mehr Griechisch lernt. «Filosofia» schreiben die Italiener, und sind auch keine Banausen).
   Auf also zur Lautschreibung!
   Ein einfaches Prinzip aller westeuropäischen Sprache ist: Der Konsonant (Gegenteil eines Vokals) wird verdoppelt geschrieben, wenn der davor stehende Vokal kurz gesprochen wird. Wird der Konsonant nicht verdoppelt, so ist klar: Der Vokal davor ist lang. Ein Beispiel: »Alle Affen atmen Atmosphärisches« – das a in alle ist kurz, das im Atmosphärischen lang. Mit dieser Regel unterscheidet man »das« (langes a) und »dass« (kurzes a), »Maß« und »Masse«, »Rosen« und »Rosse«. (Dass sonderbarerweise ck für kk steht, könnte man bei nächster Gelegenheit gleich mit korrigieren!) Wird das Verfahren der Konsonant-Verdoppelung konsequent eingesetzt, so erübrigen sich besondere Dehnungs-Bezeichnungen wie die Verdoppelung des Vokals – in »Aal« zum Beispiel – oder das Einfügen eines h – in der »Dehnung« (warum denn nicht »Deenung«?), auch das e in ie und so weiter. Dass ein »Al« nicht im »All« schwimmt, erkennt man auch so; und bei »Ali Baba« und »Abend« genügt ja auch ein einziges A vorne dran. Oder sprechen Sie das Aal-A länger als das des Abends? Die Dehnung geht glatt als »Denung« durch, das h kann gut und gern entfallen. Verzichteten wir auf all die Vokal-Verdoppelungen und Denungs-hs, so wäre das Geschriebene kürzer. Ja, und das »Geschriebene« könnte man einfach »Geschribenes« schreiben, one ie, nicht war?
   Deutsche Texte laufen heute etwa ein Drittel länger als englische. Das zeigt mir schon, dass eine wirkliche Reform nötig gewesen wäre. Man braucht sich nur die knappen Kurzmitteilungen in Handys (SMS, max. 160 Zeichen) anzusehen, da reformirt shon heute mancher seine Texte oder shreibt frish Dialekt ...
   Merken Sies? Den größten Schmarren leistet sich Deutsch mit dem sch. Die alten Lateiner, von denen unsere Schrift stammt, kannten diesen Laut noch nicht. Heute gibt es sch in praktisch allen europäischen Sprachen
. Die Schreibung ist meist Flickwerk. Die slawischen Sprachen verwenden den Hatschek, tschechisch zum Beispiel Háček geschrieben, siehe meinen Sprachtipp zu Unicode. Dieser umgekehrte Akzent-»Dacherl« (Circonflex, ^) ist nicht jedermanns Sache, die wenigsten Schreibmaschinen haben ihn drauf. Anders machen das die praktischen Italiener. Sie setzen einfach immer voraus, dass man «Genova» (Genua) als »Dschenowa« ausspricht, «Cesare» (Cäsar) als »Tschesare« und «circo» (Zirkus) als »Tschirko«, «Cinema» (Kino) und «Cinelle» (Tschinellen) ebenso. Solls ausnahmsweise ohne sch gesprochen werden, dann fügen sie ein h ein (das sie als solches bekanntlich nicht sprechen können!): «chiesa», sprich »Kiësa«, die Kirche, oder «Ghia», sprich »Gia« (nicht »Dschia«!). Die Engländer schreiben für unser sch nur sh, sagen wir in “Nashville”, sprich »Näschwill«.
   Nur im Deutschen haben wir drei Buchstaben, s, c, h, für einen Laut! Umständlicher gehts nicht.
   Doch – es geht noch komplizierter! Das tsch, vier Zeichen, ist eigentlich ein Laut. Andere Sprachen haben dafür ein Zeichen, etwa nur ein c in «cibo», sprich »Tschibo«, die Speise im Italienischen. Höchstens setzen andere Sprachen noch einen Hatschek drauf, č. Die deutsche Kaffeekette Tchibo hat schon das s gestrichen, und keiner spricht das deshalb falsch aus.
   Ein allererster Reformschritt wäre also, shleunigst das englishe Verfaren einzufüren. Möcker wünsht sich ein eigenes Zeichen fürs sch, etwa ein Integralzeichen-∫, das sieht ganz ∫ön, aber immer etwas zu ∫lank und zu lang aus. Ich täts mit dem langen ſ, wofür mich dann die
Frakturſchreiber ſteinigen würden, denn dort wird das lange ſ im Wort an Stelle des runden s verwendet, ſiehe meine Stangen-ſ-Geschichte. »Frakturſreiber« und »Aſenputtel« sähen meiner Meinung nach ganz passabel aus. Doch ein großes Sch wäre ebenfalls nötig, und woher nehmen und nicht stehlen? Möcker hat auch dafür einen Vorschlag, ich auch, weiter unten, realistisch aber ist beides nicht.
   Der Hauptnachteil unseres heutigen sch ist, dass es aus ſreibwirtſaftlichen Gründen nicht verdoppelt werden kann, somit auch niemand erkennen kann, ob der Selbstlaut (Vokal) davor nun lang oder kurz zu sprechen ist. Sagt man zu »Aschaffenburg« jetzt »Ahschaffenburg« oder »Aschschaffenburg« mit kurzem A wie in »Aschsche«? Sie sehen, schsch kann man nicht gut schreiben, obwohl ll oder ff und andere Konsonantenverdoppelungen spielend leicht gehen. Mit einem eigenen Zeichen für das sch ließe sich das prima bewerkstelligen.
   Um die sch-Verwirrung noch größer zu machen, schreibt man es im Deutschen in st und sp nicht aus, setzt also statt »Schpeck« nur »Speck« und statt »Schtein« nur »Stein«. Wie soll da einer wissen, wie man das ausspricht? Zur »Straße« sagt man »Schtraße«, zu »Mast« aber nicht »Mascht«. Ein eigenes Zeichen für das sch brächte auch hier sofort Abhilfe. Die Engländer können hier leider nicht aushelfen, dort wird st und sp nicht »ge-scht« ...
   Ja, und wie steht es mit dem ch? Auch das ch ist nur ein Laut, der unökonomisch mit zwei Buchstaben wiedergegeben wird. Es mag Ihnen aufgefallen sein, dass ein c ohne h im Deutschen praktisch nicht vorkommt. Wir setzen dann ein k, etwa in »Diktion« (für »Diction« von lat. dicere). Wir könnten in einer richtigen, lohnenden Rechtschreibreform also einfach c für ch setzen, »nacher«, »Nact« und »Nacen« so schreiben. (Den Trick verwendet übrigens Frau Delbanco zum Schreiben von Fraktur. In ihren
Schriften erreicht man das Ligatur-ch über ein einfaches c, was ganz praktisch, aber rect gewöhnungsbedürftig ist!)
   Ähnlich gehts mit dem qu, dem »Kuh«. K und q sind ziemlich austauschbar. Warum also nicht gleich k für q? Schon in Holland ist Quark Kwark.
   Und erst das X! Das wiederum ist ein Zeichen für zwei Laute: ks. Vielleicht kommt es deshalb so selten vor. Man könnte ohne viel Federlesens das X ganz frei räumen zugunsten von ks, also »Ksantippe« und »Aksel« schreiben. Dann wäre es frei für das große und kleine sch, nicht wahr? Xönheit und Xeiße, wie erfrixend säe das aus! Andere Sprachen, etwa das Xpanixe, xpielen sic ja auc mit dem x, pardon: xpilen sic ...

Soweit meine ganz unwissenschaftlichen Anregungen für die nächste Reform, die in hundert Jahren. Lassen Sie uns lieber realistisch Schritt für Schitt weiter reformieren. Sonst werden wir bald wie die Amerikaner unsere Lexika hauptsächlich dafür brauchen, die Schreibung und Aussprache kennen zu lernen, und Buchstabieren wird wie dort eine Übung für Vorschulkinder werden – obwohl uns das, Pisa-gesehen, auch nicht schadete!

Tipps zu Ortsnamen wie Brixen und Jena
Tipp
»Vom Stangen-ſ zum Schlangen-s«
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Unicode
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»Sonderzeichen im Schriftsatz«
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»Fraktur«
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»Tastaturtreiber«
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