Schreiben fürs Web – wie man gute Webseiten macht

Die folgenden Weisheiten enstammen einem hervorragenden amerikanischen Artikel von Constance Petersen, “Writing for a Web audience”. Was hat sich dort herausgestellt?

      Beim ersten Besuch einer Webseite ist der Text wichtiger als eine Grafik.
      Dabei überfliegen die Leser den Text, lesen quer.
      Dennoch liest man am Bildschirm viel langsamer als vom Papier.
      Wer weniger liest, versteht mehr. Kürzen Sie Texte auf die Hälfte!

Quergelesen wird nicht nur innerhalb Ihrer Seiten – die Leute, die Sie vermutlich am liebsten mit Ihren Gedanken beeinflussen möchten, die haben zugleich mehrere Browser offen und zappen von einem zum nächsten, hin und zurück. Ihr Text steht also in Konkurrenz zu drei anderen, wie eine Frühstücksmarmelade zu Wurst und Honig.
   Trotzdem: Achten Sie auf Perfektion. Topp-Fehlr lassen Sie schlampig erscheinen, saloppe Ausdrücke unseriös, gell! Keine Witze, sparen Sie sich Sottisen, dafür hat niemand Zeit.
   Lehrbuchhaft gibt uns Constance Petersen zehn Regeln fürs Web-Schreiben:

1. Knackige Überschriften
   Überschriften werden zuerst gelesen. Also sollten sie zünden. Jedes Wort muss sitzen! Lassen Sie die Überschriften »sprechen«, den Inhalt des Folgenden – der Seite – zusammenfassen.
   Schreiben Sie nicht »Einleitung« oder »Zusammenfassung«. Dass Sie bewusst gegliedert haben, ehrt Sie, doch der Leser möchte Inhalt, nicht Skelett sehen. Gliedern Sie nicht wie in einer wissenschaftlichen Arbeit Stufen hinunter und wieder hinauf – machen Sie dann lieber getrennte Web-Seiten zu getrennten Themen.

2. Kernaussagen herausschälen
   Helfen Sie dem Leser, die Quintessenz zu finden. In edlen gedruckten Journalen wie der
Neuen Zürcher Zeitung wird das dezent mit Versalien gemacht, die sind am Bildschirm aber schlecht zu lesen. Modern ist markieren, es darf auch fett sein, nur Unterstreichen ist passée, denn das hält man im Web für einen anklickbaren Hyperlink. Mehr zu Hervorhebungen in einem eigenen Tipp und zum Beispiel in der Überschrift von Punkt 6. Der gelbe Hintergrund geht übrigens nur mit einem “Cascading Style-Sheet” (CSS), wie, steht hier.  

3. Aufzählungen, wenn’s um mehr geht
   
Wenn Sie schon mehr als ein Argument haben, vielleicht eine ganze Latte wie in einem Datenblatt, dann gliedern Sie sie als Liste,

mit »Bommeln« (Einfügen, Sonderzeichen, und einen suchen – oder Alt0149 tasten)

mit nummerierten Aufzählungen – Word macht einem das auf Wunsch automatisch, in HTML sind’s die Befehle <ol> für oben an der Liste, <li> und </li> zum Umklammern jedes Listenelements, und </ol> am Ende. 

notfalls in einer Tabelle. Achtung, Tabellen nicht zu breit laufen lassen, sonst fehlt beim Drucken Text am rechten Rand. (Dies ist übrigens formal eine Tabelle.)

Grundsätzlich sollten Sie zu lange Zeilen meiden – Sie sehen ja, wie schwer dies hier zu lesen ist. Ideal sind Spalten wie in der Zeitung, je 35 bis 40 Anschläge. Im Web bevorzuge ich aber freien Zeilenlauf – dann kann sich jeder den Text so groß oder so klein, wie er mag, ansehen und ausdrucken. Der teure Bildschirm wird einfach besser genutzt.

4. Bildunterschriften werden gerne gelesen
   Deshalb sollten Sie sich damit Mühe geben! Gleich nach den Überschriften und dem Fettgedruckten lesen die Leute Bildunterschriften – beobachten Sie sich einmal selbst beim Blättern durch eine Illustrierte. Eine Bildunterschrift ist eine Übersicht über das, was im Bild oder Diagramm zu sehen ist. Sollte je ein Blinder Ihre Seiten lesen wollen, dann haben Sie selbst ihm damit geholfen. Wiederholen Sie aber nicht nur Inhalte aus dem Bild oder aus dem Text.

5. Sagen Sie’s einfach
   Nichts geht über ›Bild‹-Stil. Lesen Sie ein wenig in der Bildzeitung, bevor Sie lostexten. Je weniger Wörter, je kürzere Begriffe, desto besser. Streichen Sie gnadenlos ›Technologie‹ in ›Technik‹, ›Geldausgabeautomaten‹ in ›Geldautomaten‹, ›Mobiltelefone‹ in ›Handys‹, ›besitzt‹ in ›hat‹ und ›Lösungen‹ ganz. Lösungen und Strategien sind Dünnbier. Dafür gibt’s meine
Tipps.

6. Erst die Aussage, dann die Argumente
   In der Schule haben wir gelernt, es spannend zu machen: Das Resultat unserer Überlegungen gibt es am Ende des Textes. Für Matheaufgaben mag das stimmen. Bei Web-Artikeln wollen die Leute gleich wissen, was Sie sagen wollen. »Stellen Sie die Pyramide auf den Kopf«, nennt das uns’ Constance Petersen.

7. Ein Absatz, ein Gedanke
   Es ist wie bei Glossen: ’s darf nur ein Gedanke sein. Jeder Absatz soll nur einen Gedanken bringen, nur ein Argument vertiefen. Und dieser Gedanke sollte im ersten Satz des Absatzes stehen, spätestens im zweiten.

8. Jede Web-Seite ist eine eigene Welt
   Die Web-Leser steigen quer in Ihre Seiten ein, über Suchmaschinen und Links. Sehen Sie zu, dass jede Seite für sich stehen kann. Wenn Sie Rahmen (Frames) verwenden, dann achten Sie darauf, dass entweder der Rahmen nach einem direkten Aufruf der Inhaltsseite nachgezogen wird, oder dass am Ende der Seite ein Weg zu Ihrer Site führt. Oben können Sie zur Orientierung des Lesers eine Reihe bringen, etwa Home > Sprachtipps > Web-Seiten. Dann weiß Les- od. Leserin, sie oder er ist jetzt drei Stockwerke tief drin, beim Thema Web-Seiten. Wenn möglich lassen Sie ihn durch Klick auf die höheren Ebenen kommen, so etwa:
Home > Sprachtipps > Web-Seiten. Üblich ist diese Hänsel-und-Gretel-Orientierungshilfe in einer Zeile, »Brotkrumen« genannt bei Constanzerl. Bei (endlosen) Folienvorträgen bitte ich Sie um einen Balken oder Kullererbsen am unteren Bildrand, die mir zeigen, wo etwa die Folie steht, die ich gerade sehe. Lassen Sie mich dort vor- und zurückklicken können.
   Gehen Sie mit dem Cursor auf den Inhalt Ihrer Seite, klicken Sie mit der rechten Maustaste, lassen Sie sich die »Eigenschaften« oder die »Informationen anzeigen«. Die Web-Adresse kopieren Sie sich und geben sie in Ihren Browser ein. Sie werden sich wundern, wie oft jetzt nur mehr der Inhalt ohne Rand erscheint.
   Rechnen Sie nicht damit, dass die Leute Ihre Seiten von oben nach unten lesen, vor allem nicht damit, dass die Leute »unterm Strich« lesen mögen und das Bild nach oben laufen lassen (scrollen). Oder haben Sie vielleicht bis hierher gelesen?

9. Links und weg?
   Links (Hyperlinks, Querverweise) sind ja schön als weiterführende Erklärung – aber verlieren Sie damit nicht Ihren Leser? Kommt er wieder, oder wandert er dort weiter und weiter und weiter, weg von Ihnen? Auf jeden Fall verbraucht er Zeit, bis er wieder bei Ihnen ist, und die geht Ihnen ab. Zwar lassen sich erfahrene Leser nicht so leicht von unterstrichenen Begriffen zum Klicken verführen – sie lesen erst einmal den Primärtext und sparen sich die Links für später auf –, doch nutzen Sie lieber Pop-up-Erklärungen, was sich bei Fachleuten »Maus drüber« (mouse over) nennt – hier probieren!
*). Leider geht das nur beim Explorer, für Netscape-Gucker müssten Sie dafür ein wenig Java-Script verfassen ...
   Wenn Sie schon Links einbauen, dann schreiben Sie bitte nicht (hier klicken) – das unterbricht den Lesefluss. Und wenn Sie dem Leser eine Web-Adresse sichtbar bringen, vielleicht für einen späteren Ausdruck, dann kürzen Sie so viel wie möglich, also etwa
http://www.joern.de zu www.joern.de oder zu joern.de (wenn das auch geht), schreiben Sie Links merkbar. Es gilt: Domänennamen sind Groß- und Kleinbuchstaben-unempfindlich, Joern.De ist so gut wie Joern.de oder joern.de. Was nach dem Schrägstrich (/, vulgo Slash) kommt, ist allerdings oft abhängig von der richtigen Schreibung: www.Joern.De/fraktur.htm klappt, www.Joern.De/Fraktur.htm nicht, auch nicht html statt htm und umgekehrt. Der Grund ist, dass die populären Unix-Server anders als Microsoft-Maschinen innerhalb einer Site Groß- und Kleinbuchstaben auseinanderhalten.

10. Frisch, präzise und glaubwürdig sein
   Ihre Seiten sollten frisch sein (nicht so verstaubt wie meine ...). Lassen Sie sich nicht mit alter deutscher Rechtschreibung erwischen. Aktualisieren Sie. Und wenn nicht, dann lassen Sie den Leser erkennen, von wann der Text stammt. Das bedeutet, im Text nicht »heuer« schreiben, sondern »1998« oder »in diesem Jahr 2012«.
   Am schwierigsten ist wohl, trotz Kürze glaubwürdig zu sein. Was Sie sagen, muss einleuchten, plausibel sein. Das ist kein mathematischer Beweis oder eine wasserdichte Anklageführung, das sind ein oder zwei Beispiele oder Analogien, die Ihre Aussage stützen. Sogar merken kann man sich Plausibles besser. Eselsbrücken tun’s. Warum werden höhere Frequenzen weniger um Hindernisse gebeugt als tiefe? Nun, hohe Töne fliegen wie spitze Pfeile, lange Wellen biegen sich besser, haben mehr Zeit, um die Ecken zu gucken – was natürlich Unsinn ist ... Statistiken, wenn überhaupt, sollten auf neuem Stand sein, Links funktionieren, Hinweise und Quellen stimmen.
   Lassen Sie mich zum Schluss aus dem Original zitieren: “Skip the marketing hype. Replace it with well-written, interesting and useful information.”

Es grüßt sie
   Fritz Jörn – im September 2001

Constance Petersen: Writing for a Web audience, May 2001
Tipp
Hervorhebungen im Text, Schriftsatz
Tipp
Sonderzeichen – zum schönen Schriftsatz
Fritz@Joern.Dewww.Joern.De – ©Fritz Jörn MIM
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*) Für einen »Mouse over« umklammern Sie das zu erklärende Wort mit <a style="cursor: hand" title="Dieser Text soll aufscheinen">Wort</a>. Ja, und Fußnoten zur eigenen Seite sind als Verweise ja auch möglich, mit und ohne Zurück.