Innovativ und Wolf Schneider

Wolf Schneider, einer der wirklich bekannten »Sprachlehrer« Deutschlands – sein Hobbys ist, druckreif zu sprechen, was mir (als süddeutscher Dialektsprecher) den Mann ungeheuer macht – schreibt im neuen »Autoforum« über Autowerbung unter anderem:

Neben der Anglomanie kultiviert sie lateinische Wörter, die gravitätisch klingen, aber quallig sind: Generation und Dimension, Innovation und Perspektive.
   Natürlich wird uns kein neuer Motor mit mehr Ventilen vorgestellt, sondern eine moderne Mehrventil-Motorengeneration und keine besonders gute Straßenlage, sondern eine neue Dimension des Fahrverhaltens. Die Innovationen brechen als wahre Sturmflut auf uns hernieder, von innovativen Unternehmen auf den Markt geschwemmt.
   Wann ist eine Firma »innovativ«? Wenn sie ihr Augenmerk auf das Neue richtet. Aber gibt es denn Produzenten, die das Alte favorisieren? Ja, ein paar: wenn sie Oldtimer-Modelle oder nachgemachte Stilmöbel herstellen. In der Autoindustrie dagegen ist es dermaßen selbstverständlich, auf Neuerungen bedacht zu sein, daß sie sich das Hinausposaunen sparen könnte. »Persil wäscht«, das wäre ja auch keine zündende Werbeaussage. Persilfrau
   Worauf also sind die »innovativen« Unternehmen aus? Auf Neuerungen, Neuheiten, Erfindungen gar? Ach nein: auf Innovationen, wer hätte das gedacht? Warum die Angst vor dem klaren deutschen Wort? Glauben die Werber, Neuheiten verkaufen sich besser, wenn sie Innovationen heißen? Oder wollen sie umgekehrt mit der lateinischen Imponiervokabel den Umstand tarnen, daß sie sich nicht trauen, ein paar kleine Änderungen als Neuheiten anzupreisen?
   Das haben die bombastischen vielsilbigen Wörter ja an sich: Sie sind so schön unpräzise, aber sie machen was her. »Neue Perspektiven im Kraftstoffverbrauch«! Ist der am Ende drastisch gesunken? »Optimierung des Rollwiderstands«! Ist der nun vielleicht geringer? Wenn ja – warum sagen sie’s nicht? Wenn nein – wie können sie uns mit derart viel Schaum einseifen?

Soweit Wolf Schneider. Wenn der wüßte, wieviel noch viel innovativer die Informationstechnikbranche ist!

Wolf Schneider ist am 7. Mai 1925 in Erfurt geboren, studierte Philiosophie und Germanistik in München, volontierte bei der Münchner ›Neuen Zeitung‹. Von 1950 an war Wolf Schneider sechs Jahre lang Korrespondent der Nachrichtenagentur AP, später Redakteur und Washington-Korrespondent für die ›Süddeutsche‹. 1973 wurde er Chefredakteur der ›Welt‹. Später übernahm er die Leitung der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg, stand ihr siebzehn Jahre vor, war Moderator der NDR-Talkshow und schrieb zahlreiche Sachbücher. Heute ist Schneider, der auf Mallorca lebt, Sprachkolumnist der ›Neuen Zürcher Zeitung‹. Das Zitat ist der Zeitschrift ›Autoforum‹, September 1997, entnommen.

Bekannte Bücher von Wolf Schneider:
   Wolf Schneider, Deutsch für Kenner, 19,90 Mark
   Wolf Schneider,
Deutsch für Profis, 14,90 Mark
Anglizismen in deutscher Autowerbung siehe http://tor.hiof.no/~sverrev/eng.html
Fritz@Joern.Dewww.Joern.De - ©Fritz Jörn MIM
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