Rührende Habseligkeiten – moderne Technik

Das schönste deutsche Wort, das soll Habseligkeiten sein? Ein »Deutscher Sprachrat« hat es auserkoren, der schönen Begründung halber. Die hat sich inzwischen als begreifliches Missverständnis herausgestellt. Habseligkeit kommt nicht von Seligkeit sondern von Habsel-igkeit. Habsel sind einfach alles, was einer so hat. Es geht dann so weiter mit Geborgenheit, lieben, Augenblick und Rhabarbermarmelade. Allenthalben Idylle, wobei lieben nicht gerade besonders deutsch ist. Doch sind uns wirklich nichts als solche Habsel geblieben?
   Auf, lasset uns hier brechen eine Lanze für das modernste deutsche Wort, für Technik! Mögen andere Sprachen mühsam logisch an die Technik herangehen und sie immerfort Technologie nennen – was bei uns nun leider auch zur Mode wird –, im Deutschen ist Technik das Wirkungsvollere, das Effizientere, oft das Einfachere, immer aber das bessere Verfahren, etwas zu erreichen, vom Hochsprung bis zur Benzineinspritzung, von der Taucherausrüstung bis zum Gedächtnistraining. Wir haben unsere Technik, pragmatisch. Das Wort steht fest auf seinen zwei Silben. Es ist knapp und klar. Auf jeder Etappe des Fortschritts steht sie da, eine neue Technik. Schön und lieblich mag sie nicht sein, die Technik, aber sie bringt uns, so moralisch wohlgezähmt, weiter. Kunst und Wissenschaft, nichts gegen sie, Habseligkeiten alles, doch lasset uns die Technik preisen, wenigstens hier.

Sprachverliebte

»Habseligkeiten«, so meint ein »Deutscher Sprachrat«, sei das schönste deutsche Wort, dort wie hier und allenthalben wohl zu lesen ist. Entscheidend, so heißt es, war nicht, wie oft ein Wort genannt wurde, sondern wie die Einsender ihre Wahl begründeten. 
   Mein Freund Heinz Reutersberg hat mich dazu auf einen Leserbrief aufmerksam gemacht, aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. November 2004, Seite 10. Hier schreibt der Autor Bernd Weinkauf aus Leipzig:

Ahnungsloser Sprachrat

Zu »Habseligkeiten« (F.A.Z. vom 25. Oktober): Die Aktion der Wort-Wahl bedarf keines Kommentars, es gibt übleren Männerulk hierzulande. Daß hingegen ein »Deutscher Sprachrat« so ahnungslos mit Begründungen für »schöne Wörter« umgeht, macht das Elend im Umgang mit unserer Gegenwartssprache schmerzhaft deutlich. Die »Habseligkeiten« haben nun rein gar nichts mit der von der Einreicherin vermuteten »Seligkeit« zu tun. Das nicht allzu häufige Diminutivsuffix -sel benennt zumeist etwas Geringeres, wie in Streusel, Häcksel, Überbleibsel, Anhängsel, Mitbringsel oder – wie meine aus Ostpreußen stammende Schwiegermutter eine Kostprobe nennt – Schmecksel. Die Kür der durch sportliche und juristische Kompetenz offenbar ausreichend qualifizierten Jury darf getrost armselig genannt werden, bezieht sich doch dieses Wort, ähnlich wie auch »redselig« oder »weinselig«, auf ein beglückendes (mhd. sælec = glück-) Gefühl in – wie auch immer gearteter – Armut.

Soweit der Leserbrief in der FAZ. Auch Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung geht darauf ein, dass Habseligkeiten nicht von Hab-Seligkeiten sondern von Habsel-igkeiten herkommt. Mein Freund Reutersberg schickt mir noch aus dem (mit 50 Euro wohl wohlfeilen) digitalen Grimmschen Wörterbuch dies:

HABSELIGKEIT [Lfg. 10,1], f. opulentia, habentia STIELER 1993, biens, substance FRISCH teutsch-franz. wb. (1730) 278. bei den neueren wird das wort in mehr ironischem sinne für geringe, wertarme habe gebraucht: jedermann, dessen ganze habseligkeit in diesem vermeinten kleinode bestehen möchte. KANT 5, 266; ein gleichmäsziger trieb beseelte sie alle, geschwind raften sie ihre habseligkeiten zusammen. MUSÄUS die deutschen volksm. (1804) 1, 216; er fragte ob die andern auch so glücklich gewesen, ihre habseligkeiten zu retten. GÖTHE 19, 40, ähnlich 53.

Eine Google-Suche nach Habsel fördert die Fülle der Kommentare zutage. Mehr hätte auch ich nicht zu sagen.

Meine Sprach- und andere Tipps
Warum ich über Technik schreibe
Fritz@Joern.Dewww.Joern.De – ©Fritz Jörn MMIV
Zurück in die Heimat