Praktische Probleme mit der neuen Rechtschreibung

Wir schreiben bald ›dass‹ – so bald aber doch wieder nicht.

Die Frage kam auf: Wie haltet Ihr’s mit der neuen Rechtschreibung? Ab wann werden alle Briefe, alle Broschüren und Texte ›neu‹ geschrieben?
   Wir haben uns erkundigt, wie das Profis, etwa die Zeitungen, halten werden.
   Einige Verlage wenden bereits seit der Unterzeichnung des internationalen Abkommens die neuen Regeln an. Die meisten warten aber den Volksentscheid am 27. September 1998 in Schleswig-Holstein ab. Kommt die neue Rechtschreibung endgültig, werden die Nachrichtenagenturen mitmachen. Das kann sich bis 1999 hinziehen. Die Zeitungen werden den Agenturen folgen, gezwungenermaßen. Dr. Kurt Reumann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – bei der der Entschluß über die neue Rechtschreibung noch aussteht (Mitte Juli 1998), denn das ist Herausgebersache – sagte mir: »Wir können doch nicht alle neuen ss wieder in ß zurückwandeln.«
   Soweit ist alles klar. Ein Entschuß für die neue Rechtschreibung, daß (dann dass) ja, wann ungewiß.
   Doch ist die Sache mit der neuen Rechtschreibung in der Praxis viel komplizierter. In den Ministerien, den Reformgremien waren keine ›Schreiberlinge‹ dabei. Vor allem die vielen erlaubten Varianten, die die ›Recht‹-Schreibung, schülerfreundlich, oft zu einer ›Beliebig‹-Schreibung machen, bringen im praktischen Gebrauch in einem Druckwerk Probleme. Die Lösung sind Regeln, die sich jedes Blatt, jede Pressestelle, jeder Schreiber selbst erarbeiten muß. Zu diesem Thema ist in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom 17. Juli 1998 (Seite 23) ein Schlüsselartikel erschienen. Wir wissen, daß sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung ähnliche Regeln geben wird. Wir wiederum wollen diesen dann im Wesentlichen folgen.
   Wie will die NZZ schreiben? Sehen wir uns deren Meinung genau an.
   Zunächst erinnert die NZZ an die Fakten: »Mit einer formellen Erklärung zwischen Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein ist am 1. Juli 1996 die Neuregelung der Rechtschreibung abgeschlossen worden. Juristisch verbindlich gilt diese Regelung nur für diejenigen Institutionen, für die der Staat Regelungskompetenz geltend machen kann, konkret also für die Schule und für die Verwaltung. Seit August 1996 darf die neue Rechtschreibung gelehrt werden, ab August 1998 muß sie gelehrt werden, und bis August 2005 sind die alten Formen nicht als falsch zu kennzeichnen.«
   »Im wesentlichen betreffen die Änderungen die Bereiche Laute und Buchstaben, Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Zeichensetzung und Trennung. Bei den Wörtern gibt es wenige Änderungen. Kritisiert worden ist vor allem die neue Möglichkeit, Fremdwörter behutsam einzudeutschen. So soll beispielsweise wie heute bereits beim Telefon/Telephon auch bei anderen Wörtern, die auf -graph oder -phon enden, die Schreibweise mit f (-graf, -fon) toleriert werden. Bei Fremdwörtern bleibt in der Schweiz klar die Schreibung in der entsprechenden Sprache die Vorzugsvariante. Schreibt aber heute jemand ›Portmonee‹ statt ›Portemonnaie‹ oder ›Maroni‹ statt ›Marroni‹, soll auch hier Toleranz geübt werden.«
   Blenden wir uns an dieser Stelle kurz aus: Wir Techniker haben es extrem häufig mit Fremdwörtern zu tun, allerdings weniger mit griechischen als mit amerikanischen und gewiß nicht mit ›Portemonnaie‹, was bei uns ›Geldbeutel‹ heißt. Wir werden ›Telefon‹ schreiben, ›Grafik‹, ›geografisches Informationssystem‹. Die aus dem Amerikanischen kommenden Computer-Ausdrücke sind orthographisch abgeschliffen und schnörkelfrei. Im Zweifel zwischen englischer und amerikanischer Schreibweise werden wir die amerikanische vorziehen, weil die moderne Datenverarbeitung aus Amerika kommt und damit die Begriffe dazu. Ein ›Knowhow-Zentrum‹ ist also notfalls ein ›Knowhow Center‹, kein ›Centre‹. (Sie sehen übrigens: Knowhow schreiben wir nach Wahrig zusammen.)
   Schwierig wird es – siehe oben – mit der deutschen Regel, zusammengesetzte Wörter zusammenzuschreiben oder wenigstens mit einem oder mehreren Bindestrichen zu koppeln. Die Amerikaner machen das nicht, dort wird ein ›Management Information System‹ so geschrieben, ebenso ›Information Technology Services‹. Obwohl Bindestriche einen Text etwas leichter lesbar machen, werden wir sie nur in eingedeutschten Begriffen verwenden, etwa in ›Management-Informationssystem‹ (deutsch ausgesprochen), und natürlich immer, wenn ein eindeutig deutsches Grundwort folgt, das wie bei der ›Johann-Wolfgang-von-Goethe-Straße‹ ein Durchketten erfordert: ›Data-Warehouse-Lösung‹. Wem das nicht gefällt, der muß umstellen: ›Lösung durch ein Data Warehouse‹.
   Bereits sehr stark eingedeutschte Begriffe schreiben wir gleich ganz zusammen, so ›online‹ und ›Knowhow‹.
   Zurück in die Schweiz:
   »Das neue Regelwerk gibt in vielem Varianten vor. Es ist aber sinnvoll, für ein Druckprodukt keine Variantenvielfalt zuzulassen, sondern einheitliche Wortformen zu gebrauchen. Schon vor Jahren haben wir beispielsweise entschieden, in unserem Blatt nicht ›aufgrund‹ und ›auf Grund‹, sondern nur ›auf Grund‹ zu schreiben.«
   »Wo nach neuer Rechtschreibung eine alte und eine neue Schreibweise zugelassen sind, werden wir vorwiegend an bewährten Formen festhalten und diese bei Bedarf zur Kenntnisnahme für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses in einer entsprechenden Liste aufführen bzw. in unser 'Vademecum' integrieren, das bereits derartige Regelungen enthält.«
   Dann geht die Neue Zürcher Zeitung auf die neuen Eszett-(ß-)Regeln ein. In der Schweiz wird seit 1974 ganz ohne ß geschrieben. (Wir haben uns nur hier erlaubt, die Zitate aus der NZZ mit ß umzusetzen.) Anders als in der Schweiz werden wir uns in Deutschland an die neuen Eszet-Regeln halten müssen. (Nach langem Vokal ß, wie gehabt: ›Straße‹, ›Maß‹, aber ›Masse‹. Am Ende ss nicht immer durch ß ersetzen: ›dass‹, ›Fass‹. [Siehe eigener Sprachtip 'Tipdass', noch unveröffentlicht, s.u.] Besonders am ›dass‹ wird auffallen, daß (dann ›dass‹) einer nach neuer Rechtschreibung schreibt. Die Texte werden ein Promille länger werden...
   Weiter die NZZ: »Die Bereiche Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Groß- und Kleinschreibung werden wir voraussichtlich in Teilen übernehmen. Bei der Kommasetzung werden wir in den meisten Fällen (erlaubterweise) an den bisherigen Regeln festhalten. Ein Satz soll durch die Kommata in seiner Struktur optisch und logisch klar gegliedert bleiben. Bei der Trennung der Wörter werden wir voraussichtlich die Trennung von ›st‹ (wie bisher bei ›sp‹) übernehmen, z.B. ›Kas-ten‹. Ebenso das Nichttrennen von ›ck‹ (wie bisher bei ›ch‹): ›ste-cken‹ (›ste-chen‹), ›Zu-cker‹. Die aus dem Latein bzw. den romanischen Sprachen stammende Regel, daß Verbindungen mit r und l sowie die Buchstabenverbindungen ›gn‹ und ›kn‹ in Fremdwörtern ungetrennt bleiben, ist für uns weiter verbindlich. Wir werden vermutlich an den Trennungen ursprünglicher Zusammensetzungen festhalten: ›wor-auf‹ und nicht ›wo-rauf‹, ›Chir-urg‹ und nicht ›Chi-rurg‹. Die Abtrennung einzelner Buchstaben (›A-bend‹) werden Sie auch in Zusammensetzungen (›Backo-fen‹) nicht in unserem Blatt lesen müssen.«
   Dann berichtet die Neue Zürcher Zeitung darüber, daß die Schweizerische Depeschenagentur beschlossen hat, die neuen Schreibweisen nicht ab 1. August 1998 anzuwenden, sondern zusammen mit den anderen deutschsprachigen Agenturen »im Verlaufe des Jahres 1999«. Und: »Wenn die ›Neue Zürcher Zeitung‹ intern entschieden hat, in welchem sinnvollen Umfang die neuen Regeln übernommen werden sollen – aus heutiger Sicht dürfte das innerhalb der nächsten zwei Jahre sein –, wird für die Bearbeitung der neuen Trennungen im deutschen Wörterlexikon unseres Satzsystems (rund 1,5 Millionen Wörter mit von uns bestimmten Trennstellen) ein entsprechendes Programm geschrieben. Die neuen Regeln werden dann blockweise eingeführt, wobei sowohl in der Redaktion wie auch im Korrektorat eine gewisse Umgewöhnungszeit beansprucht werden muß. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten in der NZZ die bisherigen Rechtschreibregeln.«
   Zusammenfassend: Die NZZ geht davon aus, daß die Regeln – wie international bindend vereinbart – kommen. Wir hier glauben das auch. Mit der Einführung lassen wir uns allerdings Zeit, mindestens bis die Presseagenturen so schreiben. Und auch dann werden wir uns erlauben, Zweifelsfälle selbst zu regeln, etwa so, wie das die Neue Zürcher Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung vorhaben.

Fritz@Joern.Dewww.Joern.De – ©Fritz Jörn MIM
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