Werner Siemens*)
Ueber Telephonie.
(Gelesen in der Berliner Akademie der Wissenschaften am 21. Januar 1878.)
Die überraschenden Leistungen der elektrischen Telephone von Bell und Edison nehmen mit Recht auch das Interesse der Naturforscher in hohem Maasse in Anspruch. Die durch sie angebahnte Lösung des Problems der Uebertragung der Töne und Sprachlaute nach entfernten Orten verspricht der Menschheit ein neues Verkehrs- und Kulturmittel zu geben, welches ihre socialen Verhältnisse wesentlich beeinflussen und auch der Wissenschaft wesentliche Dienste leisten wird! Es erscheint daher angemessen, dass auch die Akademie diese so viel versprechenden Erfindungen in den Kreis ihrer Betrachtungen zieht.
Die Möglichkeit, nicht nur Töne, sondern auch Klänge und Sprachlaute in grösseren Entfernungen mechanisch zu reproduciren, ist theoretisch durch Helmholtz’ bahnbrechende Untersuchungen, welche das Wesen der Tonfarbe und Sprachgeräusche klar legten, gegeben.
Sind, wie er nachgewiesen hat, die Klänge und Laute nur dadurch von den reinen Tönen verschieden, dass letztere aus einfachen, erstere aus mehrfach über einander gelagerten Wellenzügen des den Schall vermittelnden Mediums bestehen, und sind die Sprachgeräusche als unregelmässige Schwingungen, mit denen die Vokallaute beginnen oder enden, aufzufassen, so ist auch die Möglichkeit gegeben, auf mechanischem Wege eine gewisse Folge solcher Schwingungen an entfernten Orten wieder hervorzubringen. Das praktische Leben ist hierin sogar, wie häufig der Fall, der Wissenschaft vorangeeilt. Der bisher nicht genug beachtete, sogenannte "Sprechtelegraph", bestehend aus zwei Membranen, die durch einen starken und dabei möglichst leichten Faden oder feinen Draht, der an ihrer Mitte befestigt ist, gespannt werden, bewirkt eine vollkommen deutliche Uebertragung der Sprache auf viele hundert Meter Entfernung. Der Faden kann dabei an beliebig vielen Punkten durch elastische Faden von einigen Zoll Länge getragen, kann auch, bei ähnlicher elastischer Befestigung an den Ecken, beliebige Winkel [p 354] bilden, ohne dass der Apparat die Fähigkeit verliert, selbst die völlig tonlose Flüstersprache mit vollständiger Deutlichkeit und Treue zu übertragen – eine Leistung, welche bisher kein elektrisches Telephon auszuführen vermag. Wenn auch dieser "Sprechtelegraph", richtiger dieses "Faden-Telephon", keinen praktischen Werth hat, da seine wirkung auf kurze Entfernungen beschränkt bleibt und durch Wind und Regen unterbrochen wird, so ist er doch deswegen höchst bemerkenswerth, weil er den Nachweis führt, dass gespannte Membranen befähigt sind, alle Luftschwingungen, von denen sie getroffen werden, in nahe vollkommener Weise aufzunehmen und alle Sprachlaute und Geräusche andrerseits wieder hervorzubringen, wenn sie auf mechanischem Wege in ähnliche Schwingungen versetzt werden.
Reis versuchte bekanntlich zuerst, die Uebertragung von Tönen anstatt durch einen gespannten Faden, durch elektrische Ströme zu bewirken. Er benutzte die Schwingungen einer den Schallwellen ausgesetzten Membran zur Hervorbringung von Schliessungs-Kontakten einer galvanischen Kette. Die hierdurch erzeugten Stromwellen durchliefen am anderen Ende der Leitung die Windungen eines Elektromagnetstabes, der, mit passenden Resonanzvorrichtungen versehen, dieselben Töne annähernd wieder hervorbrachte, von welchen die von den Schallwellen getroffene Membran in Schwingungen gesetzt wurde. Es konnte dies nur in sehr unvollkommener Weise geschehen, da die Kontaktvorrichtungen nur bei den grösseren Schwingungen der Membran wirksam werden und auch diese nur unvollständig wiedergeben konnten.
Bell scheint zuerst den glücklichen Gedanken gehabt zu haben, durch die schwingende Membran selbst. die zur Uebertragung ihrer Schwingungen dienenden Ströme hervorbringen zu lassen, indem er dieselbe aus weichem Eisen herstellte und ihre Mitte dem mit isolirtem Draht umwundenen Ende eines Stahlmagnetes sehr nahe gegenüberstellte. Durch die Schwingungen der Membran wurde nun die Anziehung zwischen Platte und Magnet und damit das magnetische Potential des umwundenen Endes des Magnetstabes abwechselnd vergrössert und verringert; es entstehen hierdurch im Umwindungsdrahte und der Leitung Ströme, welche bei der Kleinheit der Schwingungen der Platte den Schwingungen der Luftmasse entsprechende elektrische Sinus-Schwingungen erzeugen, die also im Stande waren, in einem, am anderen Ende der Leitung eingeschalteten, ähnlichen Apparate wiederum Membran- und Luftschwingungen hervorzurufen. Es bleibt hierbei ohne Einfluss, dass, wie du Bois-Reymond (Archiv für Physiologie, 1877, S. 573 und 582) nachgewiesen hat, in der empfangenden Membran die Phasen und Amplitudenverhältnisse der Partialtöne andere sind, als in der gebenden Membran.
Ein wesentlich verschiedener Weg ist, wie es scheint, gleichzeitig [p 355] mit Bell, von Edison betreten. Derselbe benutzt eine galvanische Kette, welche einen dauernden Strom durch die Leitung sendet.
In den Leitungskreis ist am gebenden Ende eine Schicht gepulverten Graphits eingeschaltet, welche sich zwischen zwei von einander isolirten Metallplatten in gelinder Pressung befindet. Die obere Platte ist an der schwingenden Membran befestig und drückt das Graphitpulver, den Luftschwingungen entsprechend, mehr oder weniger zusammen. Dadurch wird der Leitungswiderstand des Graphitpulvers entsprechend verändert, und hierdurch werden wiederum sinusoïde, den Luftschwingungen äquivalente Aenderungen der Stärke des die Leitung durchlaufenden Stromes hervorgerufen. Als Empfangsapparat benutzt Edison keine Membran, sondern eine andere, ganz eigenthümliche Vorrichtung. Sie beruht auf der Erfahrung, dass die Reibung, welche zwischen einem Metallstück und einem mit einer leitenden Flüssigkeit getränkten, gegen das Metallstück gedrückten Papierbande besteht, vermindert wird, wenn ein Strom durch das Papier zu diesem Metallstücke geht. Ich habe diese merkwürdige Erscheinung für den Fall bestätigt gefunden, dass der Strom so gerichtet ist, dass sich Wasserstoff an der Metallplatte ablagert, oder wenn das Metallstück aus einem nicht oxydirbaren Metalle besteht. Die Verminderung des Reibungscoefficienten durch den Strom rührt daher offenbar von elektrolytisch erzeugten Gasen her, welche sich auf der Metallplatte ablagern. Auffallend bleibt dabei aber die fast momentan zu nennende Schnelligkeit, mit welcher die Wirkung auch bei sehr schwachen Strömen eintritt.
Edison befestigt nun die gegen das feuchte Papier gedrückte Metallplatte an einem Schallbrette und zieht das über eine Walze geführte, feuchte Papier durch kontinuirliche Drehung dieser Walze unter dem Metallstücke durch. Wenn nun das Metallstück und die metallene Walze in den Leitungskreis eingeschaltet sind, so bewirken die Stromänderungen, welche durch das stärker oder schwächer gepresste Graphitpulver hervorgerufen werden, äquivalente Veränderungen des Reibungscoefficienten zwischen dem am Schallbrette befestigten Metallstücke und denn Papiere, wodurch jenes in entsprechende Schwingungen versetzt wird, die sich dem Schallbrette und durch dieses der Luft mittheilen.
Das Edison’sche Telephon ist sehr bemerkenswerth durch die Neuheit der Hülfsmittel, welche bei demselben zur Verwendung kommen, ist aber offenbar noch nicht zur praktischen Brauchbarkeit durchgearbeitet. Das Bell’sche Telephon dagegen hat in seiner merkwürdig einfachen Form in kurzer Zeit, namentlich in Deutschland, eine grosse Verbreitung gefunden, und es liegt bereits ein grosses Erfahrunbematerial zur Beurtheilung seiner Brauchbarkeit vor. Seine Mängel bestehen namentlich in der grossen Schwäche der reproducirten Sprachlaute, die für eins deutliches Verständniss ein Andrücken der Schallöffnung [p 356] an’s Ohr und andererseits ein unmittelbares Hineinsprechen in dieselbe erforderlich machen. Dabei ist eine stille Umgebung nothwendig, damit das Ohr nicht durch fremde Geräusche abgestumpft und gestört wird. Ein noch schwerer wiegendes Hinderniss seiner praktischen Verwendung besteht aber darin, dass es auch vollständiger elektrischer Ruhe bedarf. Da es ausserordentlich schwache Ströme sind, welche durch die schwingende Eisenmembran erzeugt werden und die andererseits die Eisenmembran des anderen Instrumentes in ähnliche Schwingungen versetzen, so genügen auch sehr schwache fremde Ströme, um die letzteren zu stören und verwirrende Geräusche anderen Ursprungs dem Ohre zuzuführen.
Um mir Anhaltspunkte für die Beurtheilung der Stärke der Ströme zu verschaffen, welche im Telephon thätig sind, stellte ich ein Bell’sches Telephon, dessen Magnetpol mit 800 Windungen 0.10 mm dicken Kupferdrahtes von 110 Q. E. Widerstand umwunden war, in einen Leitungskreis ein, der ein
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) Foucault nahm am 2. Juli 1869 in England ein Patent auf Umhüllung der einzelnen Leiter mit Stanniol oder anderen leitenden Körpern mit mit dem ausgesprochenen Zwecke, die elektrodynamische Induktion durch die in der Zinnhülle entstehenden Gegenströme zu kompensiren.–––––––––––––––––– soweit das Original
*) Ernst Werner Siemens, geboren am 13. Dezember 1816 auf Gut Lenthe bei Hannover, gestorben am 6. Dezember 1892 in Berlin.
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––Werner Siemens, Über Telephonie. Aus Wissenschaftliche und technische Arbeiten von Werner Siemens, 2. Band: Technische Arbeiten, 2. Auflage, Berlin Verlag von Julius Springer 1891 (der 1. Band ist von 1889) mit 204 in den Text gedruckten Abbildungen. Seiten 353 bis 365.
Der Text wurde mit 5 Mio. Pixel abphotographiert, weil alte Bücher nicht auf den Scanner gedrückt werden dürfen. [Meine Bilder Siemens\UeberTelB und …W(1).jpg bis … (14).jpg –
Fritz@Joern.De, Sommer 2005]Siehe auch aus dem selben Band in
www.Joern.De/SieIndoTel.htm:Das automatische Telegraphensystem für die Russischen Staatstelegraphen.
Das für die Indo-Europäische Linie bestimmte automatische Telegraphensystem.
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